Gedanken zum Ehrenamt

 

 

Samstag Nachmittags, 16 Uhr. Die Vorfreude auf die Gartenparty heute Abend bei Jasmin steigt. Timo ist mit seinen Gedanken schon da. Alle seine Freunde und Arbeitskollegen werden vorbeikommen. Auch Leute die man nicht so häufig sieht.

Das schrille Piepsen seines Melders holt Timo zurück in die Realität. "Einsatz für den Löschzug Breinach, Gebäudebrand, vermutlich Personen im Objekt" ertönt die Durchsage.
Auf dem Weg zum Gerätehaus weicht die Vorfreude der Ernüchterung, das auch diese Fete mal wieder ohne ihn stattfinden wird. Was werden die Anderen sagen? Wieso muss das immer an solchen Tagen passieren? Doch diese Gedanke verdrängt er direkt wieder, irgendwo da draußen braucht jemand Hilfe. Und genau das ist ihre Aufgabe.

Der erste Abmarsch rückt aus. Timo sitzt auf dem TLF. Der erste Trupp rüstet sich auf der Anfahrt schon mit Atemschutz aus. Timo stockt der Atem als die Stimme des Disponenten aus dem Lautsprecher des Funkgerätes ertönt. "Einsatzstelle Hauptstraße 5, das dortige Kinderheim, vermutlich noch Personen im Objekt." Das Einsatzfahrzeug biegt unter Sonderrechten in die Hauptstraße ein, vor dem unscheinbaren Haus mit der Nummer 5 haben sich schon eine Menge Schaulustiger eingefunden. Aus den Fenstern des Obergeschosses dringt dicker Qualm.

Der erste Angriffstrupp, dem auch Timo angehört, bahnt sich einen Weg ins bereits stark verrauchte Treppenhaus. Im Hinterkopf immer den Gedanken an den kleinen Knirps, der laut Aussage der Polizei noch im Haus sein muss. Die Zeit vergeht wie im Flug. Bei jedem Zug aus dem Pressluftatmer steigt die Angst, den Kleinen nicht rechtzeitig zu finden. Die Druckanzeige gibt ihm noch maximal fünf Minuten. Doch keinem der vier Kameraden im Haus will der Gedanke in den Kopf gehen, ihn nicht zu finden. Der Rauch und die Hitze werden unerträglich. Die Sicht ist gleich Null, Timo bleibt nur noch sein Tastsinn.

Das laute Pfeifen der Druckanzeige signalisiert, dass die Vier umgehend den Rückzug antreten müssen. Die Angst, dieses Wettrennen verloren zu haben, schmerzt und macht hilflos. Doch plötzlich ertastet Timos linke Hand diesen kleinen Körper.
Wie selbstverständlich nimmt er ihn auf den Arm und presst ihm die zweite Maske übers Gesicht. Der Weg aus dem Gebäude scheit nicht zu enden. Sekunden kommen ihm vor wie Stunden vor. Der kleine Körper zeigt keine Lebenszeichen.

Im Eingangsbereich kommen Timo und den anderen schon die ersten Kollegen entgegen. Er wiegt den kleinen leblosen Körper an sich, als wäre es sein eigener Sohn. Am Rettungswagen warten schon die Sanitäter und der Notarzt auf den Kleinen und beginnen sofort mit den Erstmaßnahmen. Timo steht immer noch vorm RTW und starrt auf die geschlossenen Tür. Die Erschöpfung und die Strapazen sind ihm ins Gesicht geschrieben.
Dieses unbeschreibliche Glücksgefühl, den Kleinen im Arm gehalten zu haben, wird von bloßer Angst verdrängt. Der Angst, vielleicht doch zu spät gekommen zu sein.

In Timos Unterbewusstsein drängt sich wieder die gleiche Frage, wie zu Mittag. Wieso tust du das eigentlich? Warum Feuerwehr? Wieso mutest du dir das zu? Wieso Du?
Die Zeit vergeht wie im Flug bis zu dem Moment, in dem sich die Tür des Rettungswagens öffnet. Der Rettungssanitäter, der Timo eben das Kind aus dem Arm genommen hat, sieht ihn immer noch an der Stelle stehen. Er scheint die Angst und Ungewissheit bemerkt zu haben. Durch seine Daumenbewegung und sein freundliches Lächeln scheint er Timo die gute Nachricht mitzuteilen. Dieser Augenblick beschert Timo Gänsehaut am ganzen Körper. Die Zeit scheint nun still zu stehen.

Genau dieser Augenblick hat alle seine Fragen auf einmal beantwortet. Jeder Einsatz, jede Minute die man hätte vielleicht früher anders nutzen können, hat nun einen Sinn bekommen.

Auch die ständigen Fragen von Freunden und Verwandten "Wieso machst du das eigentlich ehrenamtlich?" hat nun für immer eine konkrete Antwort!
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